Kinderwunsch im späteren Alter: Fertilitäts-Checkups und neue Trends

Der Kinderwunsch im späteren Alter ist heute kein Tabu mehr – er ist zu einem Teil unserer Lebensrealität geworden. Dank wissenschaftlicher Erkenntnisse und neuer Technologien stehen Paaren mehr Wege denn je offen, ihre Fruchtbarkeit zu prüfen und zu unterstützen

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Immer mehr Paare in der Schweiz erfüllen sich ihren Kinderwunsch erst in einem späteren Alter. Im Jahr 2021 waren 71 % der Erstgebärenden zwischen 30 und 40 Jahre alt, das Durchschnittsalter beim ersten Kind lag bei über 31 Jahren. Auch Väter sind heute älter: 1991 betrug das Durchschnittsalter bei der ersten Vaterschaft 27 Jahre, inzwischen liegt es bei etwa 34 Jahren; bereits jeder fünfte Vater in der Schweiz ist über 40. Die Gründe für diese verschobene Familiengründung sind vielfältig – von längeren Ausbildungszeiten und Karriereplänen bis zu finanzieller Vorsorge und dem Wunsch nach Selbstverwirklichung. Hinzu kommen gesellschaftliche Veränderungen: So können in der Schweiz seit 2022 nun auch verheiratete Frauenpaare eine Samenspende nutzen, um Eltern zu werden, und der Bundesrat bereitet aktuell sogar die Legalisierung der Eizellenspende vor. Doch das späte Kinderkriegen bringt Herausforderungen mit sich: Die Fruchtbarkeit nimmt mit steigendem Alter ab, was den Weg zum Wunschkind erschweren kann.

Fruchtbarkeit verstehen und frühzeitig prüfen lassen

Fruchtbarkeit ist keine feste Grösse, sondern unterliegt biologischen Grenzen. Bei Frauen ist die Anzahl der Eizellen von Geburt an begrenzt und sinkt mit den Jahren, ab etwa 35 beschleunigt sich dieser Abfall deutlich. Gleichzeitig sammeln sich mit der Zeit genetische Veränderungen in den Eizellen an, was das Risiko für Fehlgeburten erhöht. Auch beim Mann hinterlässt das Alter Spuren: Zwar können Männer prinzipiell bis ins hohe Alter Kinder zeugen, doch nimmt die Spermienqualität mit den Jahren ab – Zahl und Beweglichkeit der Spermien sinken. Studien zeigen ausserdem, dass ein höheres Vateralter mit leicht erhöhten Risiken einhergehen kann, etwa mehr Fehlgeburten oder Schwangerschaftskomplikationen wie Schwangerschaftsdiabetes. Kurz gesagt: Die biologische Uhr tickt bei beiden Geschlechtern, wenn auch bei Frauen wesentlich früher und abrupter als bei Männern.

Angesichts dieser Fakten raten Fachärztinnen und Fachärzte zu einem realistischen Fertilitätsbewusstsein. Wer mit über 35 Jahren noch ein Kind möchte, sollte nicht zu lange zögern und gegebenenfalls eine ärztliche Fertilitäts-Abklärung in Betracht ziehen. So lautet die Empfehlung, bei unerfülltem Kinderwunsch spätestens nach 6–12 Monaten zum Spezialisten zu gehen – bei Paaren über 35 sogar schon nach rund 6 Monaten. Ein solcher Fertilitäts-Checkup untersucht bei beiden Partnern mögliche Ursachen und umfasst meist mehrere Schritte. Bei der Frau erfolgt zunächst ein Gespräch mit Anamnese, gefolgt von einer körperlichen und gynäkologischen Untersuchung. Oft werden Hormonwerte bestimmt – insbesondere das Anti-Müller-Hormon (AMH), das Auskunft über die ovarielle Eizellreserve gibt. Auch Werte wie FSH (Follikelstimulierendes Hormon), Schilddrüsenhormone oder Prolaktin können geprüft werden, da sie Einfluss auf den Zyklus haben. Per Ultraschall lässt sich die Anzahl antralerr Follikel (Eibläschen) in den Eierstöcken abschätzen, was die Fruchtbarkeit grob widerspiegelt. Falls angezeigt, können weitere diagnostische Schritte folgen, etwa ein Eileiter-Durchgängigkeitstest (z. B. mittels Kontrastmittel-Ultraschall, HyCoSy) um zu prüfen, ob die Eileiter offen sind, oder in speziellen Fällen eine Bauchspiegelung, um Probleme wie Endometriose aufzudecken.

Beim Mann beinhaltet der Fertilitäts-Check in der Regel ein Spermiogramm, also eine Analyse der Samenprobe im Labor. Hierbei werden Anzahl, Beweglichkeit, Form und pH-Wert der Spermien gemessen und mit Normwerten verglichen. Abweichungen können auf Fruchtbarkeitsstörungen hindeuten. Die gute Nachricht: Sollte ein erstes Spermiogramm schlecht ausfallen, wird es oft nach einigen Wochen nochmals wiederholt, da z. B. kurzzeitige Erkrankungen die Spermienqualität vorübergehend beeinträchtigen können. Allgemein gilt: Eine frühzeitige ärztliche Abklärung schafft Klarheit über die Fruchtbarkeitssituation und ermöglicht es, allfällige Behandlungen oder Massnahmen rechtzeitig anzugehen.

Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss des Lebensstils auf die Fruchtbarkeit. Viele präventive Massnahmen lassen sich selbst umsetzen, um die Chance auf eine Schwangerschaft zu erhöhen. So kann zum Beispiel Übergewicht die Fertilität mindern – Studien zeigen, dass normalgewichtige Männer eine höhere Spermienzahl und -qualität haben als adipöse. Bei Frauen mit starkem Übergewicht (BMI > 30) ist das Sterilitätsrisiko um ein Mehrfaches erhöht. Umgekehrt beeinträchtigt starkes Untergewicht ebenfalls den Zyklus. Auch Nikotin- und Alkoholkonsum wirken sich nachweislich negativ auf die Fruchtbarkeit aus, ebenso wie chronischer Stress und Umweltgifte. Paare mit Kinderwunsch sollten daher auf einen gesunden Lebenswandel achten: ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf und das Meiden von Zigaretten und Drogen schaffen gute Voraussetzungen. Wichtig ist zudem die Vorsorge vor einer Schwangerschaft: Dazu zählt etwa ein Check des Impfstatus (z. B. Röteln-Immunität) und die Behandlung chronischer Erkrankungen in Absprache mit dem Arzt, damit sie optimal eingestellt sind – all dies bespricht man idealerweise frühzeitig mit der Frauenärztin. Nicht zuletzt sollten sexuell übertragbare Infektionen vermieden bzw. rechtzeitig erkannt und therapiert werden, da unbehandelte Infektionen wie Chlamydien bei Frau und Mann zu Unfruchtbarkeit führen können.

Parallel zur Medizin hat sich in den letzten Jahren eine ganze Technologiewelle im Bereich Fruchtbarkeits-Tracking entwickelt. Viele Frauen nutzen Zyklus-Apps oder tragen Sensoren, die Körperzeichen wie Temperatur, Puls oder Hautleitfähigkeit auswerten, um die fruchtbaren Tage präziser zu bestimmen. Sogenannte Fertility-Tracker – darunter sogar ein Armband aus Zürich als erstes FDA-zugelassenes Wearable – liegen im Trend. Der Markt für Fruchtbarkeits-Tracking-Apps boomt weltweit: Schätzungen zufolge soll er von rund 1,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 auf über 5 Milliarden Dollar im Jahr 2032 anwachsen. Diese digitalen Helfer ersetzen zwar keine ärztliche Diagnostik, können aber Paaren mit Kinderwunsch helfen, den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen und ein besseres Verständnis für den eigenen Körper zu entwickeln.

Auch die Reproduktionsmedizin entwickelt sich stetig weiter. Moderne diagnostische Verfahren und Behandlungen eröffnen neue Möglichkeiten, insbesondere für ältere Kinderwunschpaare. Ein Beispiel ist die Präimplantationsdiagnostik (PID): Dabei wird im IVF-Verfahren (künstliche Befruchtung im Reagenzglas) ein Embryo vor dem Einsetzen in die Gebärmutter genetisch untersucht. In der Schweiz ist PID seit 2017 unter strengen Voraussetzungen legal und kann vor allem Frauen jenseits der 37 dabei helfen, schneller zu einem gesunden Kind zu kommen. So lassen sich z. B. Embryonen ohne bestimmte Chromosomenstörungen auswählen, was die Erfolgsrate einer IVF bei älteren Müttern erhöhen kann. Ebenfalls an Bedeutung gewinnt das Social Freezing, also das präventive Einfrieren von unbefruchteten Eizellen (oder Spermien) für eine spätere Verwendung. In den Jahren 2011 bis 2015 hat sich die Zahl der Social-Freezing-Behandlungen in der Schweiz mehr als verdoppelt. Als Hauptgründe gelten ein fehlender passender Partner zum Zeitpunkt des Kinderwunsches (bei vielen Frauen in den 30ern) sowie Karrierepläne. Durch das Einfrieren in jüngerem Alter soll die Möglichkeit erhalten bleiben, zu einem späteren Zeitpunkt mit den konservierten “jungen” Eizellen eine Schwangerschaft zu erzielen. Allerdings ist zu beachten, dass die Erfolgschancen auch hierbei vom Alter abhängen – unter 35 gelingt pro aufgetauter Eizelle in 12–18 % der Fälle eine Lebendgeburt, in höherem Alter geringer. Zudem sind die Kosten mit rund 4’000–10’000 CHF pro Zyklus beträchtlich und das Verfahren ist nicht ohne medizinische Belastung. Social Freezing kann dennoch eine sinnvolle Option sein, wenn eine Schwangerschaft aktuell nicht passt, aber perspektivisch gewünscht ist. Wichtig ist eine ausführliche ärztliche Beratung, um realistisch abzuschätzen, was diese Methode leisten kann.

Abschliessend gilt: Der Kinderwunsch im späteren Alter ist heute kein Tabu mehr – er ist zu einem Teil unserer Lebensrealität geworden. Dank wissenschaftlicher Erkenntnisse und neuer Technologien stehen Paaren mehr Wege denn je offen, ihre Fruchtbarkeit zu prüfen und zu unterstützen. Allerdings kann die Natur nicht unbegrenzt ausgetrickst werden. Frühe Vorsorge und ein gesunder Lebensstil bleiben die beste Strategie, um sich den Traum vom eigenen Kind zu erfüllen. Und wenn es auf natürlichem Weg nicht klappen will, bieten Fertilitäts-Checkups und moderne Medizin wertvolle Hilfe, damit der Klapperstorch vielleicht doch noch landet – auch wenn man ein paar Jährchen länger darauf gewartet hat.