Krebs-Gene im Check: Wann genetisches Testen sinnvoll ist

Ein Gentest ist dann stark, wenn er zielgerichtet erfolgt und in konsequente Prävention oder Therapie mündet. Für Risikofamilien kann er lebensrettend sein; für alle anderen ist die Entscheidung heute noch individuell.

DNA Strang

Für wen lohnt sich ein Gentest auf erbliche Krebsrisiken? Die kurze Antwort: Für einige Menschen sehr, für die Allgemeinbevölkerung „es kommt darauf an“. Dieser Beitrag ordnet die wichtigsten Krebs-Gene ein, erklärt, was moderne Tests leisten, und zeigt Nutzen wie Fallstricke — mit Studien und Leitlinien als Grundlage.

Was sind „Krebs-Gene“ eigentlich?

Wenn Ärzt:innen von „Krebs-Genen“ sprechen, meinen sie meist erbliche (Keimbahn-)Veränderungen, die das Lebenszeitrisiko für bestimmte Tumoren deutlich erhöhen. Klassische Beispiele sind BRCA1/2 beim erblichen Brust-/Eierstockkrebs (HBOC), die Mismatch-Repair-Gene MLH1, MSH2, MSH6, PMS2 und EPCAM beim Lynch-Syndrom, TP53 (Li-Fraumeni-Syndrom), CDH1 (hereditär diffuser Magenkrebs), APC (familiäre adenomatöse Polyposis), MUTYH (MAP), PTEN (Cowden), STK11 (Peutz-Jeghers) sowie moderat-Risikogene wie PALB2, CHEK2, ATM, RAD51C/D, BARD1. Verständliche Übersichten liefern hier auch die NCCN-Patientenleitfäden zu erblichen Krebsrisiken.

Neben solchen „monogenen“ Risiken werden Polygenic Risk Scores (PRS) diskutiert: Hunderte bis Tausende häufige Varianten ergeben zusammen einen Risiko-Score, z. B. für Brustkrebs in Tools wie CanRisk. PRS können Modelle verbessern, sind aber je nach Herkunft („Ancestry“) unterschiedlich gut kalibriert — selbst innerhalb Europas variieren Risikoverteilungen spürbar, was für eine faire Anwendung berücksichtigt werden muss.

Bringt Testen nachweislich etwas?

Für mehrere Hochrisiko-Syndrome ist der Gesundheitsnutzen gut belegt. Bei BRCA1/2 senkt eine risikoreduzierende Salpingo-Oophorektomie (RRSO) die Ovarialkrebs- und teils auch die Gesamtsterblichkeit; aktuelle Kohorten- und Meta-Analysen bestätigen diesen Effekt, auch wenn Details nach Gen und Ausgangslage variieren. Zudem sind bei BRCA-Befunden zielgerichtete Therapien wie PARP-Inhibitoren (z. B. Olaparib) verfügbar — was die therapeutische Relevanz des Testens unterstreicht.

Beim Lynch-Syndrom senkt konsequente Koloskopie-Überwachung die CRC-Inzidenz und Mortalität; in vielen Ländern gilt universelles Tumor-Screening per MMR-Immunhistochemie/MSI-Test bei neu diagnostiziertem Darmkrebs als Standardzugang, um Betroffene zu identifizieren. Ergänzend zeigte die randomisierte CaPP2-Studie, dass Aspirin bei Lynch die Darmkrebsrate langfristig senkt.

Für Li-Fraumeni (TP53) belegt das Toronto-Surveillance-Protokoll ein verbessertes Überleben und häufigere Früherkennung. Bei CDH1 bleibt die prophylaktische Totalgastrektomie die leitliniengerechte Option, da Frühherde oft mikroskopisch sind.

Bevölkerungsweites Testen: schon reif — oder noch Vision?

Die Debatte hat Fahrt aufgenommen. Modellierungen und ökonomische Bewertungen zeigen, dass bevölkerungsbasiertes BRCA-Testen (zumindest in bestimmten Settings) kosteneffektiv ist und zusätzliche Mutationsträger:innen identifiziert — etwa im JNCI-Modell (UK/USA) und in einer kanadischen Analyse 2024. Randomisierte Daten aus GCaPPS deuten zudem auf gute psychosoziale Verträglichkeit hin, ohne langfristige Einbußen der Lebensqualität. Dennoch bleibt die Umsetzung anspruchsvoll: Beratung, Infrastruktur und gerechte Zugänge sind entscheidend.

Leitlinien empfehlen zielgerichtetes Testen bei erhöhter Vortest-Wahrscheinlichkeit: etwa bei typischen Familienmustern, frühem Erkrankungsalter, bestimmten Tumor-Subtypen oder Herkunft mit Gründer-Mutationen. Die CDC führt HBOC und Lynch als „Tier-1“-Genomik-Anwendungen mit hohem Public-Health-Nutzen. Für viele onkologische Erstdiagnosen existieren heute klare Testempfehlungen (etwa BRCA/HRR bei Pankreas- oder Prostata-Karzinom).

Wie häufig sind pathogene Varianten? BRCA1/2 liegen in unselektierten Populationen in der Größenordnung 1:100–1:200; in großen Biobanken wurden etwa 1:139 berichtet. In der aschkenasischen Bevölkerung findet sich eine Prävalenz um 1:40 — relevant für populationsbasierte Strategien.

Vor- und Nachteile eines Gentests

Der Vorteil eines gezielten Tests liegt in Klarheit und Handlungsfähigkeit: intensivere Vorsorgekoloskopien bei Lynch, RRSO bei BRCA, ggf. prophylaktische Gastrektomie bei CDH1 sowie therapeutische Konsequenzen wie der Einsatz von PARP-Inhibitoren bei BRCA-assoziierten Tumoren. Nachteile und Grenzen entstehen vor allem durch „Variants of Uncertain Significance“ (VUS): Bei breiten Paneltests sind VUS häufig; Re-Klassifikationen passieren regelmäßig, meist in Richtung „(wahrscheinlich) gutartig“. Bis zur Klärung dürfen VUS Befunde keine Therapieentscheidungen steuern — genau das empfehlen auch Fachgremien. Psychologisch zeigen Reviews insgesamt keine anhaltenden Verschlechterungen; Angst und Ungewissheit nehmen oft ab, wenn Beratung strukturiert erfolgt.

Schweiz: Recht, Ethik, Praxis

In der Schweiz regelt das Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG) Einwilligung, Zweckbindung, Schutz vor Missbrauch sowie die Pflicht zu fachkundiger genetischer Beratung bei prädiktiven Tests. Viele genetische Untersuchungen müssen durch bewilligte Labore erfolgen; das BAG informiert Fachpersonen und Patient:innen über den Rahmen. Für die Praxis heißt das: Keine Schnellschüsse und keine „Direct-to-Consumer“-Abkürzungen, sondern informierte Entscheidung im klinischen Setting.

Was heißt das nun konkret für Sie?

Wenn Ihre Familiengeschichte oder Ihr Tumorprofil auf ein Syndrom hindeutet — mehrere frühe Krebsfälle, typische Kombinationen, gewisse Subtypen — ist eine genetische Beratung mit gezielter Testung sehr sinnvoll. Der Startpunkt sind klinische Testkriterien (z. B. NCCN/ESMO) und ggf. validierte Risikotools wie CanRisk, die Familienanamnese, Genetik und Lifestylefaktoren integrierenn. Haben Sie keine Auffälligkeiten, ist ein pauschaler Test derzeit keine Routine. Die Evidenz für bevölkerungsweites BRCA-Testen wächst, doch die Entscheidung sollte nach strukturierter Risikoerhebung erfolgen — und die Übersetzung in Handeln ist zentral: passende Vorsorge, prophylaktische Maßnahmen dort, wo der Nutzen belegt ist, und Gelassenheit im Umgang mit VUS.